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Fassadenbau – Interview mit Marcel Bieri

Auf der Baustelle Langensandrein in Luzern, im schönen Horw neben dem schönen Vierwaldstättersee traf ich Anfang Jahr Marcel Bieri zum Interview:

Heute führe ich das Interview mit Marcel Bieri. Über 30 Jahre lang war er als technischer Sachverständiger bei der Sarna Granol AG tätig und führt nun seit 2020 seine eigene Firma, die Applikart GmbH. Im Gespräch erfahre ich mehr über seine Anfänge im Fassadenbau, den stetigen Branchenwandel.

 

Zur ersten Frage Herr Bieri: Wie sind Sie in die Fassadenbranche gelangt?

Ich komme aus dem Hochbau und bin gelernter Maurer. Ich habe die ganze Ausbildung durchlaufen mit Vorarbeiter-, Polier- und Bauführerschule und bin dann 1989 als Systemlieferant zum Systemanbieter Sarna Granol gestossen, wo ich dann über 30 Jahre lang zunächst als Berater und als Fassadenplaner und dann später zusätzlich als technischer Sachverständiger und Verantwortlicher tätig war. Dies ist mein Werdegang.

Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Fassadenbranche in den letzten 20 Jahren entwickelt?

Ja, natürlich rasant, denn vor 30, 40 Jahren als ich als junger Vorarbeiter die erste Fassade selbst gemacht habe, wusste man noch wenig darüber, was eine Aussenwärmedämmung bewirken kann. Damals dachte man, eine zwischen 4 und 6 Zentimeter dicke Aussenwärmedämmung sei das Ende der Fahnenstange. Heute bauen wir aus energetischen Gründen hingegen eine zwischen 20 Zentimeter bis 26 Zentimeter dicke Aussenwärmedämmung. Also eine ganz andere Liga, in der sich auch Dämmplatten, Mörtel- sowie Systemkomponenten als auch Detaillösungen ständig erneuern und langlebiger werden.

Würden Sie sagen, es hat sich ins Positive gewendet?

Technisch gesehen hat es sich entwicklungsgemäss sicher zum Positiven gewendet, das ist unumstritten. Als ich damals, wie gesagt die Fassaden machte, kannte man nur wenige Dämmstoffe, wie zum Beispiel «Sagex». Das war es dann aber meistens auch schon. Heutzutage hat man eine viele grössere Auswahl unterschiedlicher Dämmstoffe aus EPS mit Steinwolle, Strukturschaumplatten, PIR/PUR Platten oder Hochleistungs-Dämmungen. Über die Jahre sind mindestens sieben bis zehn neue Dämmstoffe hinzugekommen, die heute beim Verputzen zur Anwendung kommen.

Wir haben gerade von Aussenwärmedämmung gesprochen. Es gibt verschiedene Systeme, eines davon ist das Wärmedämmverbundsystem. Was ist besonders wichtig beim Erstellen eines solchen Systems?

Ja, ich glaube, das fängt schon ganz früh an. Wenn man von Wichtigkeit spricht, sehe ich jetzt gerade, wo wir stehen. Also es ist Januar 2023, es ist kalt. Bevor eine Fassade gebaut werden kann, muss der Verantwortliche, der technischer Leiter der Firma, zuerst eine Untergrundprüfung machen. Kann ich dies bei diesen eisigen Temperaturen überhaupt bewältigen? Im Hintergrund sehen wir ein wunderbares, positives Beispiel wie eine Winterbaumassnahme zu treffen ist: Man hat die Gebäudehülle mit einer Gerüstverkleidung versehen und da wird geheizt. Es wird Energie hereingebracht, so dass die Temperaturen hinter dieser Gerüstverkleidung mindestens die +5C° erreichen, damit man mit Mörtel, Wasser und Co. weiterarbeiten kann. Das ist die erste wichtige Massnahme, die zu treffen ist, wenn an einer Fassade gearbeitet werden muss: Man muss den Mut haben, den Bau zuerst einzuschätzen und Untergrund Abnahmen zu machen. Wie sieht das Mauerwerk, Tragwerk aus? Ist es sauber? Ist es uneben, eben? Die Liste an Fragen ist lang.

Bevor die Arbeiten dann wirklich losgehen können, muss man mit der örtlichen Bauleitung zusammen anstehende Vorbereitungsarbeiten zuerst abklären und allenfalls eine Fassadenreinigung durchführen lassen. Die Untergrundprüfung ist also das A und O. Alles Weitere liegt dann in der Systemapplikation und in der Detaillösung, und da braucht es eben gute Fachleute.

Es gibt auch andere, verschiedene Systeme, wie zum Beispiel hinterlüftete Fassaden. Was ist der Vorteil eines Wärmedämmverbundsystems gegenüber einer hinterlüfteten Fassade oder umgekehrt?

Die technischen Unterschiede liegen darin, dass bei einer verputzten Aussenwärmedämmung, auch WDV-System (Wärmedämmverbundsystem) genannt, alle Schichten direkt auf der Wärmedämmung zu liegen kommen. Das ist sicher platzsparend und sehr einfach. Bei einer hinterlüfteten Fassade hingegen entsteht zwischen der Wärmedämmung und der Tragschicht ein circa 2.5 bis 4 Zentimeter breiter Luftzwischenraum. Konvektions-Feuchtigkeit und Feuchtigkeit vom Mauerwerk können dann über die Wärmedämmung in den Zwischenraum oder durch den Zwischenraum entlüftet werden, nachhaltig und bauphysikalisch absolut unbedenklich. Ein Vorteil bei den hinterlüfteten Fassade ist sicher auch die Statik. Ich kann mit Natursteinen, mit Feinstein oder auch mit Klinker arbeiten. Ich kann also Gewichte auf diese Trägerschicht bringen, welche technisch über die Unterkonstruktion gerechnet, dann aufgefangen wird. Da sind die verputzten Aussenwärmedämmungen etwas limitiert. Man kann nicht endlos Gewichte vorne anbringen. Ich denke, man darf diese aber auch nicht direkt miteinander vergleichen. Wenn man eine Güterabwägung macht, muss man sehen, dass eine hinterlüftete Fassade kostenmässig auch ca. mit einem Faktor von 2 – 2.5 Behangen ist. Da muss der Bauherr/Investor schon mehr Kosten in Kauf nehmen.

Wenn Sie noch einmal wählen könnten, Herr Bieri, welches System würden Sie wählen?

Gut, ich aus als «alter Aussenwärmedämmung-Freak» würde wieder eine Kompaktfassade machen, würde mir jedoch Gedanken machen über die Art und Weise und die Wahl des Stoffes, mit dem wir arbeiten. So betrachtet gibt es heute bessere Dämmstoffe, die auch deutlich nachhaltiger sind. Ich denke da an Strukturschaum, an Steinwolle usw. Ich würde mir auf jeden Fall diesen Gedanken nochmals machen aber trotzdem eine Kompaktfassade wählen.

Apropos Dämmen: Gibt es ausschlaggebende Details, die man richtig ausführen muss, da es ansonsten Schäden geben kann?

 Ja, erfahrungsgemäss kann ich sagen, dass in den letzten 30 Jahren praktisch 85 % von sämtlichen Problemen an den Aussenwänden leider in den Sockelzonen gemacht werden, also am Übergang von der Fassade in die Erdreichzone. Diese Übergänge sind bis heute immer die problematischsten, wenn man sie falsch handhabt. Der Planer muss oftmals etwas genötigt werden, damit er diese Bereiche richtig plant. Oftmals sind die Sockelzonen dann halt eben auch sichtbar. Eine Art Bekleidung kann da Abhilfe schaffen. Das kann ein Sockelputz sein. Es kann eine richtige Trennlinie sein oder Schutzbeschichtungen, die nach Abschluss der Arbeiten durch Gärtner errichtet werden. Diese Schnittstellen müssen unbedingt von den richtig geplant und dann auch umgesetzt werden. Wie gesagt: Dies sind ca. 85 % der Schäden, die heute vorkommen können. Die anderen 15 % entstehen da wo falsche Anschlüsse an Fremdbauteilen mit falschen Fugenausbildungen produziert werden. Man kann auch den Schichtaufbau eines Aussendämmsystems falsch wählen. Dieser kann zu dünn sein, zu wenig Material enthalten oder die falschen Komponenten beinhalten. Da gibt es ein schönes Spektrum, welche Schäden eben entstehen. Oftmals entstehen diese Schäden leider unter einem enormen Zeit- und Kostendruck.

Würden Sie sagen, es werden zu viele Schäden eingebaut?

Nicht absichtlich. In der Fassaden-Planung mit den Architekten zusammen, wollen wir alle immer das Beste. Oftmals, wird es dann wettertechnisch knapp, Detailarbeiten wurden nicht gelöst oder müssen am Bau selbst gelöst werden. Dann treten sehr viele Kompromisse am Bau auf, die der Unternehmer selbst mit dem technischen Stand seiner eigenen Leute häufig nicht mehr bewältigen kann. So entsteht eine Fehlerspirale, die sich unter dem Durck von Zeit und Geld weiterdreht.

Da fällt mir ein Spruch ein. Seit 30 Jahren heisst es «dünner, schneller, günstiger» und da bin ich immer wieder der Meinung, man sollte dieses Prinzip etwas umkehren zu «dicker, langsamer, nachhaltiger».

Nach der Dämmung der Fassade folgt die Gewebeeinbettung. Auf was muss man hierbei genau achten?

Ich bin der Meinung, dass die Schichtstärke und die Funktion des Armierungsgewebes praktisch die wichtigsten Punkte der Beschichtung sind. Früher haben wir ca. 2 Millimeter starken Grundputz mit Gewebeeinbettung aus Mörtel gemacht, der mit immer mehr organischen Bindemitteln versehen wurden. Dies waren sehr elastische, sehr dichte Systeme. Sie waren praktisch wie Gummi und da konnte man natürlich Material und Zeit sparen. Dann haben wir aber relativ schnell erkannt, dass dieses System aber auch Nachteile mit sich bringt. Wie zum Beispiel wasserabweisende Fassaden, die hydrophoben Fassadenoberflächen, die dann mit Fertigputzen appliziert wurde oder eingefärbte Deckputze aus Kunststoff ohne zusätzliche Anstriche. Wir haben festgestellt, dass dies zu sehr starker und schneller Verschmutzung und der Bildung von Algen bzw. Mikroorganismen auf der Oberfläche führen kann. Das hat man mit der Zeit und mit der Entwicklung gemerkt und mit neukonzipierten Beschichtungen darauf reagiert.

Also würden Sie sagen, mineralische Putze sind besser als organische Putze?

Generell würde ich das Wort «besser» mit Vorsicht behandeln. Mineralische Putze sind nachhaltiger, weil sie natürlich die organischen Komponenten ausklammern, welche nach Jahren zur Versprödung neigen können. Mineralische Putze aus Erdkrusten-Materialien, Sand oder Kalkhydrate haben praktisch keinen Alterungsprozess. Somit bleiben diese Fassaden auch noch 20 bis 30 Jahre nach der Erbauung immer noch intakt.

Ich glaube, entscheidend ist auch das gewählte System, also die Aufbau-Komponenten. Ist es ein Standardsystem, Dünnschichtsystem, Mittelschichtsystem oder sogar Mitteldickbett-System? Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, an denen man sich kann. Ich selbst bin der Meinung, dass heute die meistverbauten Systeme im Spektrum der Mittelbett-Systeme liegen. Damit treten auch die wenigstens Schäden oder Fassadenabzeichnungen auf, da hier ein zwischen 6 – 8 mm Grundputz mit Armierungsgewebeeinlage verwendet wird, der rissfrei bleibt.

Herr Bieri, wenn Sie von Schäden sprechen, was kann bei einer Fehleinbettung passieren?

Wurde zu dünn eingebettet oder die Einbettung falsch an andere Baukörper angeschlossen,

sieht man dann, wenn die Sonne im Streiflicht kommt, oftmals jede Dämmplatte an der Fassade. Das kommt davon, wenn die Einbettung sehr dünn ist und keine Egalisationsmöglichkeiten mehr bestehen.  Dies kann natürlich mit mehr Putzstärke verhindert werden, die auch eine viel homogenere Fläche ergibt.

Des weiteren kann man sagen, dass dünne Einbettungen nach mehreren Jahren zu Rissbildungen neigen, weil die Versprödung der Kunststoffadditive in diesen Putzen verloren geht. Das kann dann schon ziemlich schnell zum Problem werden. Wenn ein Riss entsteht, kann Feuchtigkeit, die nicht mehr ausgedrückt werden kann, infiltrieren. Dann kann es zu Putzschäden und Abplatzungen kommen oder sogar einen kompletten Rückbau der Fassade erfordern.

Welche Materialien vertragen sich am besten mit einer Fassade?

Das ist eine schwierige Frage, weil welches Material verträgt sich nicht? Ich sage den Unternehmen immer, die ein System verbauen: «Baut keine eigenen Systeme, vertraut einem geprüften Systemlieferanten, der die ganzen Komponenten und Systeme liefert. Befolgt deren Ratschläge und lasst euch auf der Baustelle von diesen Spezialisten begleiten». Ob es ein Kunststoffsystem ist oder ein mineralisches System steht gar nicht so wahnsinnig im Vordergrund. Wichtig ist, das System als Einheit zu betrachten und dessen Anforderungen umzusetzen.

Welche absurden Schäden und Geschichten haben sie in Ihrer Berufslaufbahn schon erlebt?

Das wäre jetzt zu einfach zu sagen, es sei immer alles gut gelaufen. Ich könnte jetzt wahrscheinlich nach 47 Jahren Berufserfahrung meine Memoiren schreiben und da kämen ganz lustige und auch tragische Geschichten zum Vorschein. Die schlimmsten Geschichten entstanden immer im Zusammenhang mit der Sorgfaltspflicht der Unternehmer oder mit Zeit- und Kostendruck. Wenn ich alles erzählen würde, würde das den jetzigen Rahmen dieses Interviews sprengen, aber ich glaube, ich schreibe irgendwann nochmal so ein 300-seitiges Buch über solche Vorkommnisse.

Alle Geschichten aber beinhalten stets dieselben Protagonisten: die Qualität, die involvierten Menschen, dem heute eher teuren Materialienhandel und dem, was an die Wand gebracht wird. Qualitätsfragen also, die stets beim Menschen liegen und entschieden werden müssen.  

Was würden Sie sich für die Zukunft in der Fassadenbranche wünschen?

Vor allem würde ich mir gutes, ausgebildetes Fachpersonal wünschen. Junge Leute wie ihr es seid, die Werbung machen für diese Branche, für das Handwerk, für den Gipser-Beruf, für den Fassadenbau. Wir brauchen unbedingt wieder gutes Fachpersonal. Das ist der eine Wunsch.

Der zweite Wunsch ist der, dass meines Erachtens genügend Platz für den Gipser-Beruf bei den Fachverbänden eingeräumt werden muss. Das kann bei der Ausbildung sein, in der Schule, im Berufsbildungsbereich oder ganz generell. Dieses Thema wird oftmals ein bisschen stiefmütterlich behandelt und auch zu wenig eingehend diskutiert. Wenn wir sehen, wie viele Wandflächen hier in der Schweiz noch zu isolieren sind, schon aus energetischen Gründen, kommen wir um gute Fachkräfte nicht herum.

Ihr seid die Zukunft in diesem Bereich, das wäre mein Wunsch.

Mit vielen lehrreichen Informationen bedanke ich mich bei Marcel Bieri.

von

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